Gehirnplastizität im Kindesalter: Musikschule macht sich lebenslang bezahlt
20.05.2011 - Wer als Kind ein Musikinstrument lernt, schult damit sein Gehirn für das ganze Leben. Das berichten Forscher der University of Kansas in der Zeitschrift "Neuropsychology". Erstmals konnten sie die Folgen des Musizierens im Kindesalter auch für das Seniorenalter dokumentieren. Mehrere Gehirnfunktionen werden durch den Instrumentalunterricht nachhaltig verbessert - was auch für Menschen gilt, die das Instrument nach der Schulzeit an den Nagel hängen.
Die Forscher
untersuchten 70 gesunde Erwachsene zwischen 60 und 83 Jahren, die sie je
nach musikalischer Erfahrung in drei Gruppen gliederten.
Der
erste Teil von ihnen hatte länger als zehn Jahre hobbymäßig ein
Instrument gelernt, der zweite weniger lange, der dritte gar nicht. Alle
besaßen ähnliche Bildung und körperliche Verfassung und zeigten keine
Demenz-Anzeichen.
In kognitiven Tests schnitten diejenigen am
besten ab, die als Kind ein Instrument gelernt hatten - besonders wenn
es um das räumlich-visuelle Gedächtnis, um Objektbezeichnungen oder um
die Anpassungsfähigkeit an neue Informationen ging.
Als "sehr
plausibel" wertet Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für
Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik, Theater
und Medien in Hannover, die Ergebnisse.
Schon früher konnte
Altenmüller zeigen, wie extrem komplex das Gehirn beim Musizieren
arbeitet und dass zahlreiche schnelle Strategieentscheidungen nötig
sind.
"Die in der US-Studie beobachteten Effekte könnten aber
auch durch unterstützendes Elternhaus, durch Ausdauer und gutes
Selbstmanagement der Musikschüler beeinflusst sein", erklärt der Experte
gegenüber pressetext.
Dass das eigene Musizieren das Gehirn schult, konnte der Hannoveraner Musikermediziner auch in eigenen Studien zeigen.
"Musikstudenten
schneiden beim visuellen Gedächtnis oder bei Strategiebildungen besser
ab als Kommilitonen aus der Medizin oder Psychologie. Zudem zeigen
Schlaganfall-Patienten bei gleichem Schädigungsausmaß geringere
Ausfälle, wenn sie früher musiziert haben."
Als wahrscheinliche
Ursache nennt Altenmüller besser vernetzte Gehirnzellen, die
Kompensationen bei Ausfällen von Teilen des Gehirns erleichtern.
"Es
zahlt sich immer aus, ein Instrument gelernt zu haben - und wenn es nur
ein halbes Jahr Blockflöte war", betont Altenmüller. Als wichtigste
Bereicherung sieht der Experte die damit erworbene emotionale Kompetenz
sowie die Erfahrung, einmal Klang mit dem eigenen Körper erzeugt zu
haben.
"Wer zudem mit anderen musiziert hat - etwa im Orchester - konnte dabei zudem gemeinschaftlich an einem hohen Ziel arbeiten."
Ähnliches
berichten auch die US-Forscher. Je länger die von ihnen beobachteten
Senioren als Kind Instrumentalunterricht genommen hatten, desto besser
schnitten sie bei den Gehirntests ab.
Ein gleich großer Vorteil
zeigte sich jedoch auch bei jenen, die ihr Instrument nach der Lernphase
nicht wieder angerührt hatten.
"Insgesamt entscheiden vor allem die
Dauer des Instrumentenlernens sowie auch das Einstiegsalter", so
Studienleiterin Hanna-Pladdy - letzteres wegen bestimmter Zeitfenster,
in denen Kindergehirne besonders plastisch sind.
Altenburger warnt Eltern allerdings davor, Kinder zu früh zu einem Instrument zu dressieren.
"Wichtig
ist es, die Entwicklungsstadien zu berücksichtigen. Wer weit kommen
will, sollte spätestens mit zehn Jahren mit einem Streichinstrument oder
Klavier beginnen, bei Blasinstrumenten oder Schlagzeug kann es auch
später sein.
Wer schon mit drei Jahren beginnt, macht anfangs sehr
langsame Fortschritte, die Starter mit sechs Jahren schnell aufgeholt
haben.
Für die Plastizität des Gehirns oder die Entwicklung eines absoluten Gehörs bringt es jedoch Vorteile."
Journalmed
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Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin (IMMM) der Hochschule für Musik und Theater Hannover
www.immm.hmtm-hannover.de/